Project Horizon // Flo Schmidbauer

Project Horizon // Flo Schmidbauer

Flo Schmidbauer berichtet uns als Gastautor von seiner erlebnisreichen Reise durch Schottland, die uns schon jetzt motiviert die nächsten Touren zu planen, oder auch einfach mal wieder drauf los zu fahren. 

 

„Links der Bürgersteig, rechts der Mittelstreifen“, wiederholen mein Kumpel Bene und ich  mantraartig, während wir Inverness Richtung Westen verlassen. Die Hände und Beine frösteln etwas, die Radtaschen schaukeln während der ersten Meter sanft hin und her.

Auf uns wartet eine Woche mit Fahrrad und Zelt entlang der North Coast 500, einer 500 Meilen, also gut 800 Kilometer, langen Route durch den wilden Norden Schottlands. Uns erwarten Steilküsten, Buchten, Seen, ca. 10.000 Höhenmeter verteilt auf tausend kleine Hügel, Highland-Rinder und schroffe Natur, so schroff, dass man sich fast willkürlich der Macht der Elemente überlässt.

Auf dem Weg durch die Highlands Richtung Westen überqueren wir den Bealach na Ba Pass, den mit 626 Metern höchsten Pass des Vereinigten Königreichs. In unzähligen Serpentinen mühen wir die schwer bepackten Räder Tritt für Tritt die Straße nach oben und füllen unsere Lungen mit schottischer Luft. Nach knapp 100 Kilometern erreichen wir an diesem ersten Tag die Küste, die wir bis zu unserer Rückkehr nach Inverness in knapp einer Woche stets linker Hand von uns haben werden. Bald darauf beginnen wir auch schon mit der Suche nach einem Schlafplatz für die erste Nacht – in Schottland ist Wildcampen erlaubt – und werden auf einer Anhöhe mit Blick auf das Meer und die gegenüberliegende Ile of Skye fündig. Zum Abendessen gibt es Spaghetti Carbonara aus der Tüte, Gummibärchen und einen atemberaubenden Anblick, allein im Nirgendwo.

Der zweite Tag beginnt mit einem Filterkaffee vom Gaskocher und tausend Hügeln, immer mit Blick auf die Ile of Skye, kleine Leuchttürme, große Buchten und zahllose Schafe. Nach zwei Stunden erreichen wir ein winziges Dorf mit Café und gönnen uns Bagels und mehrere Stück Kuchen. Gestärkt geht es weiter bis zum einzigen Supermarkt auf dem Weg für heute. Orte mit Einkaufsmöglichkeiten sind so weit im Norden Schottlands rar gesäht und so müssen wir morgens schon überlegen, wo wir am Tag einen Supermarkt passieren werden und für wie lange die Vorräte reichen müssen. Der limitierende Faktor ist da meist das Wasser, da für mehr als ca. 4 Liter einfach kein Platz am Rad ist.

Mit jedem Kilometer, den wir fahren, und jedem Hügel, den wir überqueren, verändert sich die Landschaft ein kleines bisschen, eine neue Bucht erschließt sich unserem Auge, ein neuer See wird sichtbar und die nächste Bergkette schiebt sich vor den Horizont.

Die zweite Nacht zelten wir auf einem Hochplateau und machen zum ersten Mal Bekanntschaft mit schottischen Midges – kleinen Mücken, die im Nordwesten Schottlands eine echte Plage sind und morgens und abends sowie in der Nähe von Gewässern jedes draußen aufhalten ungemütlich machen. So frühstücken wir anstatt vor unserem Zelt oft erst nach 1-2 Stunden Fahrt im nächsten Ort, wo die Mückenwolken nicht ganz so schlimm sind. Nach drei Tagen haben wir ungefähr 420 Kilometer und mehr als 6.000 Höhenmeter hinter uns und sind völlig überwältigt von der Schönheit und Vielfalt der schroffen Landschaft. Unseren nächsten Schlafplatz finden wir auf einem Bergkamm mit Blick auf das Meer und die zerklüftete Küste.

Der nächste Tage beginnt kalt, neblig und mit den ersten Regentropfen, die nach einer Stunde zu einem richtigen Wolkenbruch werden. Mit dem Regen fällt auch die Stimmung und ich habe ein erstes Tief. Zu allem Überfluss kann man sich im einzigen Café auf den ersten 80 Kilometern des Tages in der Balnakeil Bay nicht drinnen hinsetzen und wirklich etwas zu essen gibt es dort auch nicht. Im Supermarkt nebenan stärken wir uns etwas und versuchen den Platzregen abzuwarten – nach einer halben Stunde und unzähligen Regenradar-Checks kommen wir zum Schluss, dass es wohl alles nichts hilft und wir im Regen weiterfahren müssen. Nach einer Stunde auf dem Rad hört der Regen allerdings wieder auf und mystischer Nebel begleitet uns eine Weile. Anschließend macht der Nebel Platz für Sonne und spätestens mit ihr kehrt auch die gute Laune zurück. Wir fahren einen langen Fjord, „Loch Eriboll“, entlang und rollendes Terrain, etwas Rückenwind und atemberaubende, ständig wechselnde Landschaften machen die nächsten Stunden zum reinen Genuss.

Im Laufe des Tages erreichen wir die Nord-Ostküste Schottlands und aus der zerklüfteten, wilden Landschaft werden sanfte Hügel. Mit ihnen kommen auch die Felder und Gatter, Schafe und Highland-Rinder zu unserer Linken und Rechten. Dadurch schwindet allerdings auch die Chance auf ein verstecktes Schlafplätzchen und so suchen wir über mindestens 20 Kilometer erfolglos nach einem schönen Zeltplatz für die Nacht. Aus geplanten 130 Kilometern für den Tag werden so 150 Kilometer, nach denen wir schließlich im kleinen Örtchen Thurso landen und zu unserer Rettung einen Campingplatz finden. Fließend Wasser, Duschen, Blick auf das Meer, keine Midges – fühlt sich an wie ein Wellnesshotel. Über Nacht und während einem ausgedehnten Frühstück mit Campingkocher vor unserem Zelt sammeln wir neue Kräfte.

Tag 5 beginnt mit einem kurzen Abstecher zum nördlichsten Punkt von Festland-Großbritannien und geht weiter mit langen, sanften Hügeln, Schafweiden so weit das Auge reicht und dem rauen Meer immer zu unserer Linken. Bei der Suche nach einem Schlafplatz verlassen wir unsere Route einige dutzend Höhenmeter über dem Meer und biegen ab Richtung Küste. Neben der Bootsanlegestelle des kleinen Örtchens Dunbeath finden wir erneut einen paradiesischen Platz für die Nacht. Wir bauen unser Zelt an einem kleinen Strand mit Blick auf ein altes Castle am anderen Ende der Bucht auf. Nach dem Zelt aufbauen bekommen wir von einem wildfremden Camper, der ein paar Meter weiter steht, einen heißen Kaffee angeboten, der unglaublich gut tut und wärmt. Wir beenden den Tag beim Sonnenuntergang mit Blick auf das Meer und zwei Pale Ale aus der Dose, auf die wir uns schon den halben Tag gefreut haben – besser geht’s nicht.

Der nächste Tag wird von den äußeren Bedingungen der härteste, eigentlich den ganzen Nachmittag fahren wir im Regen und Nebel. Wir fahren so lange es geht, in der Hoffnung, dass der Regen aufhört und mangels Alternativen. Das Zelt müssen wir am Abend so im Regen und Dunkeln aufbauen. Einziger Trost ist, dass dies die letzte Nacht im Zelt ist, weshalb es auch egal ist, dass wir am nächsten Morgen das Meiste nass einpacken. Am letzten Tag ist dafür die Sonne zurück und so werden die letzten 100 Kilometer zur Tour d’Honeur. Wir machen nochmal ausgedehnte Kaffeestopps und lassen die letzten Tage Revue passieren. Am Nachmittag rollen wir wieder auf Inverness zu, der Verkehr wird mehr, die Schafweiden und rauhe Natur weniger. Schon nach den ersten Minuten mit Autolärm vermissen wir die Stille und Einsamkeit des schottischen Nordens. Gleichzeitig sind wir froh, dass unsere Beine, Rücken, Hintern und auch der Kopf nun erstmal nicht Radfahren muss. Wir sind froh, stolz und denken mit Genuss an die hinter uns liegende Woche zurück, die uns viele unvergessliche Momente beschert hat und die Erkenntnis, dass das Beste ist, sich einfach auf sein Rad zu setzen, loszufahren und etwas zu erleben.

Unterm Strich stehen am Ende 7 Tage, über 900 Kilometer, ca. 10.000 Höhenmeter, viele Kaffees, unzählige Buchten, noch mehr einmalige Erlebnisse.

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