2455 Km. 76.000 Hm. 70 Pässe in 18 Tagen. Eine Herausforderung, die bei dem Lesen der bloßen Zahlen kaum vorstellbar ist. Momente, die einem das ganze Leben in Erinnerung bleiben. Eine körperliche & mentale Belastung, die einen Tag für Tag an die Grenzen bringt. Lukas Rathgeber über seine unvergessliche Zeit in den Alpen mit seinem Vater und was ihn dazu bewegt jedes Mal auf ein Neues seine Komfortzone zu verlassen.
Ein Gastbeitrag von Lukas Rathgeber.
Vor drei Monaten erhielt ich die Nachricht, dass das Silk Road Mountain Race dieses Jahr wohl nicht stattfinden wird. Alles war schon organisiert, wie zum Beispiel die Flüge nach Kirgisistan. Geplant war auch, dass mein Vater mich vor und nach dem Rennen unterstützt und währenddessen selbst das Land erkundet. Die Alpen und Pyrenäen waren sofort als Alternative auf dem Radar. Mit den Grenzöffnungen im Juni in Europa wurden die Alpen ein realistisches Ziel. Ich war schon oft mit dem Rad in den Alpen unterwegs aber wie wäre es, alle 2000er Pässe hintereinander möglichst zusammenhängend zu fahren? Diese Idee ließ mich nicht mehr los und ich fing an die Route zu planen.
Das Thin-Air-Project
Das Ergebnis der Planung waren 58 Pässe über 2000m plus einige andere, die auf dem Weg liegen und zu schön sind, sie nicht zu fahren. Eine echte sportliche Herausforderung, verpackt in einem coolen Trip mit meinem Vater. Zentraler Bestandteil in der Planung war der umgebaute Camper-Van. Unabhängig, praktisch und schnell. Fraglich war nur, ob es am Ende wirklich funktioniert 2500km und zwischen 70.000 und 80.000 Höhenmeter in etwas mehr als 2 Wochen zu fahren. Das wären im Schnitt um die 4500 hm pro Tag. ‘Get rich or die tryin’ war das Motto.
Österreich: Bielerhöhe, Kühtai, Timmelsjoch, Staller Sattel, Grossglockner, Nockalmstrasse
Der erste zu überwindende Pass war die Bielerhöhe. Völlig naiv aber mit super Beinen und voller Tatendrang ging es los. Am Kühtai habe ich die Canyon Sram Girls getroffen und danach am Timmelsjoch verglüht. Beine auf 800 hm/Stunde justiert - angenehmes Tempo. Die Biathlon Hochburg Antholz auf dem Weg zum Staller Sattel passiert. Keine Dorothea Wierer gesehen. Gefroren am Großglockner bei einstelligen Temperaturen und Nieselregen. Komplett geduscht an der Nockalmstrasse.
Italien: Jaufenpass, Penserjoch, Würzjoch, Zoncolan, Sella di Razzo, Tre Cime di Lavaredo, Passo Giau, Passo Falzarego, Passo Valparolo, Grödener Joch, Sella Joch, Passo Pordoi, Passo Fedaia, Passo di San Pellegrino, Passo Valle, Passo Rolle, Passo Brocon, Passo Manghen, Passo dello Stelvio, Passo di Gavia, Passo di Mortirolo, Forcola di Livigno, Passo d’Eira, Passo Foscagno, Splügenpass, Kleiner Sankt Bernhard, Colle delle Finestre, Colle delle Assietta, Colle di Sampeyre, Colle di Esischie, Col de la Lombarde.
Der Jaufen und ich werden keine Freunde mehr, egal von welcher Seite. Wunderschönes ruhiges Friaul, mit den Traumpässen Zoncolan und Sella di Razzo. Im Kontrast dazu die touristischen Dolomiten. Einsamer Camping Spot unter den drei Zinnen auf 2300 m. Mit Singlespeed die letzten 3KM weil die Batterie im Bremsschalthebel leer war. Dazu leichte Höhenkrankheitssymptome über Nacht. Hotspot Cortina d’Ampezzo. Überfüllte und dadurch stressige Sella-Runde mit wunderschönem Finale am Fedaia. Manghen als Abschluss der Dolomiten. Bei 35 Grad reingefahren, bei 7 Grad im Regen oben angekommen. Danach Pizza, Transfer und Ruhetag im Vinschgau.
Start der Königsetappe war um 4 Uhr, im Mondlicht auf dem Stelvio. Highlight. Weiter über Gavia und Mortirolo. 198 km mit 6700 hm am Ende. Zwischen der Schweiz und Frankreich über den Kleinen Sankt Bernhard. Viele Blitze und Regen. Einfach immer weiter. Von Susa auf den Finestre. Der ist sofort unter den Top 5 Pässen überhaupt. Verwunschener, mystischer Wald mit 1000 Serpentinen auf den ersten 10 Km. Dann Gravel bis auf über 2100 m. Mein Dad fährt direkt nach Sestriere. Ich nehme die Assietta Höhenstrasse. Die 38 mm Reifen sind gerade breit genug. Die Straßen-Übersetzung war eher Limit. Eine Traumstraße!
Von Sestriere frisch endorphinisiert nach Frankreich. In Piemont habe ich mir wieder die Gravel Laufräder gewünscht. Wunderschöne 2000er Pässe die keiner kennt, mit Strassenverhältnissen, die keiner kennen möchte. Die Abfahrten waren anstrengender als die Auffahrten, vor allem für den Kopf. Es fällt schwer, die Konzentration hoch zu halten. Letzter Pass in Italien der Col de la Lombarde Richtung Isola 2000. Der untere Rücken ist langsam deutlich spürbar. Cola ist in dieser Zeit ein Zaubertrank.
Schweiz: Umbrail, Bernina, Ofenpass, Flüela, Albula, Julier, San Bernardino, Lukmanier, Oberalp, Susten, Grimsel, Furka, Gotthard, Nufenen, Simplon, Grosser Sankt Bernhard.
Sonnenaufgang am Umbrail und *****kalte Abfahrt nach Bormio. Endlose 1900 hm zum Bernina. 24h danach Traumrunde im Engadin. Kurzes Polizei Intermezzo am San Bernadino, Regen am Lukmanier, Sturm am Oberalp. Die Beine halten sich überraschend gut. Mein Dad ist auch gut drauf und tut alles was er kann, um mir das Leben zu erleichtern. Film und Foto-Besuch aus Deutschland für zwei Tage. Viel Spass für alle Beteiligten. Weiter Richtung Westen und die Schweizer Klassiker Grimsel, Furka Susten. Sprung in den See im Wallis, danach Bremsbeläge gewechselt. Auf der Simplon-Autobahn gegen die LKWs gekämpft. Transfer zum Grossen Sankt Bernhard. Schön leer auf dem Weg nach oben und überfüllt am Pass.
Frankreich: Col de l’Iseran, Mont Cenis, Montgenèvre, Col d’Izoard, Col d’Agnel, Cime de la Bonette, Col d’Allos, Col des Champs, Col de la Cayolle, Col du Vars, Col du Lautaret, Col du Galibier, Col du Télégraphe, Col de la Croix de Fer, Col du Glandon, Col de la Madeleine.
Zum Frühstück nach 1000 hm 2 Eclair in Val d’Isere. Super schöner Pass, viele Radfahrer. Überholt von einer Frau, wieder aufgefahren mit 350W, um Ihr einen Heiratsantrag zu machen. Sprachliche Schwierigkeiten, danach höchster Watt Output bis zum Pass. Lange Abfahrt zum Mont Cenis, viel los, schöner See, ab ins Piemont. Montgenevre Grenzübergang Richtung Briancon. Endlich wieder Pizza. Col d’Izoard. Noch ein Klassiker. Casse Deserte auf der Rückseite. Rollt so gut, dass ich den Agnel noch halb hochfahre. Super schöner Camping Spot im Hochtal auf 2100m. Am nächsten Morgen um 7 Uhr bei 4 Grad weiter Richtung Italien. Am Ende zurück in Isola 2000. Wieder alles voll Menschen. Gemeindefest in Isola im Tal, keine Restaurants offen. Pasta in der Feldküche. 500 g Nudeln sind zu zweit kein Problem. Kurze Nacht im Tal und hoch zum höchsten Punkt auf den Cime de la Bonette auf 2800m. Nichts los um 7 Uhr. Bestes Wetter, ein Traum. 9 Uhr oben läuft. Col d’Allos als nächstes, mittlerweile ist wieder mehr los. Meinen Dad oben verpasst und weitergefahren. Er hat mich auch nicht gesehen und gesucht. Ich war aber schon auf dem Weg zum nächsten Pass. 100km später hatten wir uns wiedergefunden. Col des Champs –Traumpass. Vom Gewitter auf den Cayolle gejagt worden. 3km vor dem Gipfel gegen die Natur verloren. Egal, 3km gehen immer. Oben ins Auto und später zum Nachtisch Col du Vars.
Letzter Tag. Erstmal Galibier zum Frühstück. Die Beine schaffen immer noch 800 hm/Stunde. Absolute Diesel-Beine. Keine harten Efforts möglich, aber im mittleren Bereich 8-10 Std kein Problem. Next: Col de la Croix de Fer. Mein Dad und ich müssen lachen, weil wir langsam runterzählen bis es vorbei ist. Noch die letzte tricky Abfahrt vom Glandon überstehen. Rein in den Madeleine. Nochmal fast 2 Stunden berghoch. Ich fange an zu reflektieren, versuche mich an alle Pässe zu erinnern. Dad versorgt mich mit Cola. Dann war es soweit. Leicht perplex stehen wir beide auf dem Madeleine und trinken eine gekühlte Orangina und schauen in die Ferne, ohne viel dabei zu sagen. Ein intensiver Trip für uns beide. Das erste Mal entspannen seit 18 Tagen.
Das Projekt war am Ende in der Tat eine echte Herausforderung. Sowohl auf und neben dem Rad. Es war super spannend, die Komfortzone jeden Tag neue zu verlassen. Nie wusste man, wann der Punkt kommt und wie man damit umgeht. Klar gab es auch dunkle Momente aber da wieder rauszukommen und immer positiv zu bleiben, war einfach nice. Auf dem Rad habe ich mich so lebendig und frei wie selten zuvor gefühlt. Auf den zum Teil schönsten Straßen der Welt.
Vereint mit meinen Dad haben wir 18 Tage lang das Ziel verfolgt, die Herausforderung zu meistern. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl für uns beide gewesen, als wir es am Ende geschafft haben. Wir waren über diese Zeit ein super eingespieltes Team, jeder hatte seine Aufgaben im Van Life 2.0. Durch die anspruchsvollen Etappen war nach der Etappe immer direkt wieder vor der Etappe und so standen wir die 18 Tage unter Strom, ohne grosse Ruhephasen. Dabei waren wir immer positiv gestimmt und hatten sehr viel zu lachen. Ohne meinen Vater wäre dieser Trip nicht möglich gewesen. Danke. Neben den ganzen Zahlen bleibt am Ende vor allem eines in Erinnerung. Ein Trip an den wir beide uns für immer erinnern werden. And that’s what it’s all about, ‘right?
2455 Km. 76.000 Hm. 70 Pässe - davon 58 asphaltierte Pässe über 2000m. 18 Tage. Eine Lifetime Experience.
Entdecke alle Routen die Lukas gefahren ist in seiner Komoot Collection.
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Videografie: Peter Bender
Fotografie: Lina Jakobi
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