Nachdem Project Horizon-Athlet Lukas Rathgeber im letzten Jahr sein Thin Air Project in den Alpen erfolgreich abgeschlossen hatte, wartete nun Ende Januar eine neue Herausforderung auf ihn: Das Race around Rwanda. Eine perfekte Gelegenheit, um seine Leidenschaft für das Radfahren mit dem Erleben einer neuen Kultur zu verbinden. Gemeinsam mit Ultra-Cyclist Raphael Albrecht und Fotograf Nils Laengner wollte er sich dem harten Rennen im „Land der tausend Hügel“ stellen. Alle Vorbereitungen waren bereits getroffen, und dann kam doch alles etwas anders als erwartet.
Wir freuen uns, dass Lukas einen Gastbeitrag verfasst hat, in dem er über seine Zeit in Ruanda berichtet:
"Wenn der Weg zum Ziel wird.
Es sollte mein erstes richtiges Ultra-Cycling-Rennen sein. Mit Sleep-Deprivation und allem, was dazu gehört. 1000 Kilometer in 72 bis 96 Stunden. 400 km davon auf Gravel einmal rund um Ruanda. Permanent auf zwischen 1400m und 2900m, so nah am Äquator wie noch nie. Maximal acht Stunden Schlaf waren geplant. Nabendynamo und Licht waren startklar. 40 mm Reifen, die auch auf Asphalt gut rollen, wurden montiert. Einige der besten Ultra-Racer waren gemeldet – ein perfekter Vergleich also, um zu sehen, wo ich stehe.
Lange sah es so aus, als könnte das Rennen stattfinden wie geplant, da Corona in Ruanda sehr gut unter Kontrolle war. Zwei Wochen vor dem Startdatum wurden Sportveranstaltungen im ganzen Land verboten, um die Zahlen weiterhin niedrig zu halten. Somit konnte das Race around Rwanda nicht als Rennen stattfinden. Die Regierung unterstützte den Veranstalter jedoch vor dem Start darin, das Rennen unter geänderten Bedingungen als Journey stattfinden zu lassen. Das veränderte natürlich alles, doch ich fand die Idee eines 1000 km Bikepacking-Trips durch Ruanda immer noch super spannend. Die Strecke wurde in sechs Etappen eingeteilt und die Hotels wurden vorher entsprechend für uns gebucht. Dies bedeutete natürlich auch mehr Luxury Items im Gepäck und eine zusätzliche Tasche am Rad.
Am Ende wurde es ein unvergesslicher Trip durch unfassbar schöne Landschaften mit vielen neuen Bekanntschaften. Klar war ich dazu bereit, das Rennen zu fahren, doch dabei hätte ich so vieles verpasst! Ich hätte weder die Gelegenheit dazu gehabt meine Mitstreiter kennenzulernen und die Landschaft im Hellen zu genießen noch hätte ich die Menschen und Kultur so erkunden können.
Am ersten Tag ging es in den Osten des Landes Richtung Akagera Nationalpark. Alle Teilnehmer sind mehr oder weniger einzeln bzw. in kleinen Gruppen gestartet. Nach den ersten drei Stunden auf Asphalt ging es dann in den ersten Gravelsektor. Zusammen mit Rennfotograf Nils Laengner ging es rein in den Nationalpark. Der Graveltrack wurde immer schmaler bis nur noch ein Singletrack übrig war. Alles war soweit ganz gemütlich. Bis die ruandischen Nationalfahrer von hinten kamen und irgendwie die Lust am Rennen fahren entdeckt hatten. Also ab hinterher und irgendwie versuchen dranzubleiben. Kurve, Antritt, Kurve, Antritt, Kurve, Pfütze, Antritt, Pfütze, Kurve, Antritt über knapp zehn Km. Das ganze mit einem Rad voller Gepäck, das sich anfühlte wie ein LKW. Nach dem Racing-Intermezzo haben wir erlebt was es bedeutet, wenn es in Rwanda regnet und wurden fast von der Gravelstraße gespült, um am Ende im Sonnenschein beim ersten Hotel anzukommen.
Weiter ging es am nächsten Tag Richtung Norden nach Musanze. 200 km mit 120 km Gravel standen auf dem Programm, garniert mit 3000 Höhenmetern. Start um 5 Uhr und Ankunft um 17 Uhr sagt schon alles. Das war ein richtig krasser Tag. Mit super schönen Gravelstrassen an Seen, Ausblicken auf Vulkane und Abfahrten, die mein nicht vorhandenes Offroad-Fahrkönnen forderten, wurde es ein richtig langer Tag auf dem Rad. Die Ankunft war im Cycling Center des ruandischen Verbandes und der Service war 1A. Vom Essen bis zum Mechaniker stand uns alles zur Verfügung. Dazu die erste heiße Dusche seit Tagen. Ein Traum.
Von Musanze ging es weiter nach Kibuye am Lake Kivu. 190 km mit 3800 Hm standen am Ende auf der Uhr. Den ganzen Tag bin ich zusammen mit Raphael Albrecht unterwegs gewesen und wir hatten unsere eigenen kleinen Abenteuer. Kaputtes Schaltwerk bei Nils nach 45 Minuten. Ein platter Reifen bei mir kurz nach dem höchsten (und matschigsten) Punkt des Rennens auf 2800 m. Verrückte Abfahrten und viel Cola, sowie ein entspannter letzter Teil der Etappe zusammen mit Fabian Burri und Jean Ruberwa, der nur “Campione” genannt wurde. Hier und da fuhren wir am Ende noch ein paar kleine Sprints gegeneinander. Wenn Radfahren sich wie „spielen“ anfühlt, ist es am schönsten. Danach ein, zwei Bier zusammen. Was will man mehr?
Der kürzeste Tag sollte doch nicht so richtig kurz sein. Zwar nur 100 km, doch auch mit 3000 Hm starteten wir zu dritt sehr spät als Gruppetto. Rapha musste wegen Knieschmerzen abkürzen und so war ich mit Fabian den restlichen Tag alleine unterwegs. Der Track führte uns durch die grünste Landschaft, die ich je gesehen habe, durch Teeplantagen bis hin zu einem Pfad durch den Regenwald. Wir sind in der Sonne ziemlich verglüht und waren sehr froh einen kleinen Dorfladen zu finden, der Fanta und Kekse hatte. Abgesehen von einem Platten auf den letzten Metern, rollten wir den Rest der Etappe entspannt zu Ende. Aufgrund begrenzter Ersatzschläuche lernte ich so zum ersten Mal wie man einen Schlauch flickt.
Etappe 5: Die ersten 55 km und 1500 Hm kein Re-supply und in Wellen durch den Regenwald (Nygunge Nationalpark) bis auf 2500m. Wieder starteten wir zu dritt eher am hinteren Ende gegen 6 Uhr (Schlafen ist einfach auch schön). Nachdem wir entspannt losgerollt sind, fand ich auf einmal einen ziemlich guten Rhythmus und hatte super Spaß daran mal zu testen was noch geht. Ich war wieder in meinem Element, auf Asphalt und berg hoch, fast wie in den Alpen. Nur viel grüner, einem Ausblick nach Burundi und Soldaten, die auf der Straße nahe der Grenze patrouillierten. Nach und nach konnte ich ein paar andere aus der Gruppe einholen, bis ich schließlich die ruandischen Fahrer vor mir sah. Die haben mir das Leben nicht einfach gemacht und wir lieferten uns ein paar kleine Spielchen, was auf 2500m jedoch keine gute Idee ist, wenn man sowieso schon mit Spitzenverbrauch unterwegs ist. Ohne Frühstück, mit zwei Maurten Trinkflaschen und vier Gels habe ich es dann bis Kilometer 55 geschafft. Dort gab es um 8:30 Uhr erst einmal Reis, Kartoffeln und Gemüse als Frühstück. Am Ende der Etappe ging es noch über 70 km Gravel bis Nyanza. Ich habe meine sieben Leben aber auf den ersten 55 km gelassen und bin es gemütlich angegangen.
Am letzten Tag sollte es zum zweiten Mal auf dem ganzen Trip regnen. Die anderen waren alle schon zwei Stunden unterwegs, als wir um 8 Uhr losgefahren sind. Das rächte sich leider und wir starteten im Regen, während die anderen zumindest trocken losfuhren. Nach 10 km Gravel hatte Rapha einen Platten und ich habe ihm meinen letzten Schlauch gegeben. Für mich war dann klar, dass ich den Joker ziehe und die 120 km nach Kigali auf der Straße fahre, ganz nach dem Motto: “Schuster, bleib bei deinen Leisten” und verzichtete auf 70 km Gravel (und Matsch). Die Fahrt war dann doch ziemlich kupiert und ich hatte am Ende doch wieder mehr als 2000 Hm auf der Uhr. Nach den ganzen Tagen mit den Jungs und Mädels zusammen auf der Strecke habe ich es am Ende auch sehr genossen ein paar Stunden alleine unterwegs zu sein und alles in Ruhe auf mich wirken lassen zu können. Am Ende haben wir uns alle auf der Terrasse des Onomo Hotels im „Ziel" getroffen und das ein oder andere Bier zusammen getrunken.
Bisher unerwähnt, aber während des Rennens omnipräsent, waren die Kinder Ruandas. Wann immer man auf dem Rad entdeckt wird, rennen die Kinder hinterher und rufen „Muzungu, Muzungu“. Das ist am Anfang ziemlich neu, doch man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Genauso kommt das ganze Dorf zusammen, wenn man irgendwo anhält, um etwas in einem lokalen Shop zu kaufen. Dabei sind die Menschen immer super nett und halten eine gewissen Distanz ein. Niemals auf dem ganzen Trip fühlte sich jemand von uns nicht sicher oder hatte Angst. Okay, ich hatte schon manchmal kurz Angst, wenn ich den anderen versucht habe bergab zu folgen, auf Trails, von denen ich niemals dachte, dass man sie fahren könnte. Ruanda – das Land der 1000 Hügel – kann ich auf jeden Fall so unterschreiben. Von den 1000 km war gefühlt kein einziger Kilometer flach.
Es ist wirklich schwer in Worte zu fassen wie sich Radfahren in Ruanda anfühlt. Einerseits ist man sprachlos aufgrund der wunderschönen Landschaften und der offenen Menschen, andererseits kann man (ich) nicht ausblenden, wie surreal es ist, mit dem Rad durch entlegene Dörfer zu fahren, in denen die Menschen mehrere Kilometer zum nächsten Brunnen laufen müssen. Das bringt einen auf jeden Fall zum Nachdenken. Insgesamt war es ein Trip, der mich definitiv geprägt hat und an den ich mich immer erinnern werde. Race around Rwanda 2021."
A race that never was. But we all won.
Fotos: Nils Laengner / www.nilslaengner.de / @nils_laengner